Checkliste Kindeswohlgefährdung

 

 

1. Medizinische Bewertung der Situation

  • Prüfung von Anhaltspunkten:

Achten Sie auf Anzeichen körperlicher Misshandlungen (z. B. Hämatome, Verbrennungen), emotionaler Misshandlung (z. B. Verhaltensauffälligkeiten, Angst) oder Vernachlässigung (z. B. unzureichende Pflege, Hygiene).

  • Gespräch mit dem Kind:

Wenn möglich, sprechen Sie in einem geschützten Rahmen mit dem Kind, um Aussagen zu seinen Lebensumständen zu erhalten.

  • Gespräch mit den Eltern/Erziehungsberechtigten:

Besprechen Sie, wenn möglich, die Situation mit den Eltern und beobachten Sie deren Reaktion, um einschätzen zu können, ob sie die Ursache für die Gefährdung sein könnten. Werden sie defensiv oder aggressiv? Vermeiden sie konkrete Antworten? Handelt es sich um eine Schilderung eines außergewöhnlichen Vorgangs?

 

2. Untersuchung und Dokumentation

  • Klinische Untersuchung des Kindes:

Führen Sie eine zahnärztliche Untersuchung des Kindes durch, um körperliche Misshandlungen oder Vernachlässigungen festzustellen.

  • Sorgfältige Dokumentation:

Notieren Sie alle Auffälligkeiten, Symptome, Aussagen des Kindes und der Eltern sowie Ihre eigenen Beobachtungen im Detail. Achten Sie darauf, diese Informationen neutral und sachlich zu erfassen.

Falls relevant (z. B. bei Zahn- oder Hautverletzungen oder anderen körperlichen Auffälligkeiten) dokumentieren Sie visuelle Beweise mit Fotos (mit Zustimmung der Eltern, falls möglich) oder Skizzen.

  • Medizinische Akte prüfen:

Überprüfen Sie frühere Behandlungsberichte, ob bereits früher Ereignisse dokumentiert worden sind, die für den aktuellen Fall von Relevanz sein könnten.

 

3. Weiteres Vorgehen / ggf. Einbeziehen des Jugendamts

  • Rechtliche Beratung:

Wenn Sie sich unsicher sind, wie weiter zu verfahren ist, ziehen Sie eine Beratung z. B. bei der Landeszahnärztekammer oder einem Fachanwalt für Medizinrecht hinzu. Sie können auch bei Ihrem zuständigen Jugendamt eine Beratung erfragen, für die Sie zunächst die Patientendaten nicht offenlegen müssen. Das für Sie zuständige Jugendamt kann über das Verwaltungsportal Hessen ermittelt werden (Suche).

  • Meldung an das Jugendamt:

Wenn der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung weiterhin besteht, sind Sie verpflichtet, den Fall dem Jugendamt zu melden.

 

4. Vermeidung von Fehleinschätzungen

  • Sensibilität für Fehleinschätzungen:

Seien Sie sich bewusst, dass es in manchen Fällen zu Fehldeutungen kommen kann, insbesondere wenn es um kulturelle Unterschiede oder familiäre Probleme geht. Eine differenzierte Beurteilung ist notwendig, um unnötige Eskalationen zu vermeiden.

  • Ethische Reflexion:

Hinterfragen Sie regelmäßig Ihr eigenes Vorgehen und suchen Sie nach Möglichkeiten, Ihre Einschätzungen zu überprüfen, um sicherzustellen, dass alle Entscheidungen im besten Interesse des Kindes getroffen werden. Dies kann unter Wahrung des Patientengeheimnisses z. B. durch kollegiale Gespräche stattfinden.

Hintergrundinformationen Kindeswohlgefährdung für Zahnärzte

Zahnärztinnen und Zahnärzte sind sowohl bei einer tatsächlichen Gefährdung als auch bereits bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung dazu verpflichtet, das zuständige Jugendamt zu informieren.

Eine Kindeswohlgefährdung ist „eine gegenwärtige, und zwar in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt“ (BGH FamRZ 1956, S. 350 = NJW 1956, S. 1434).

Da damit regelmäßig der Bruch der zahnärztlichen Schweigepflicht einhergeht, ist in jedem Einzelfall eine gründliche und umfassende Prüfung erforderlich, ob die Schwelle zur Mitteilungspflicht bereits überschritten ist.

Zum Wohle der Kinder und zur Ermutigung der Zahnärzte wird dabei auch der Fall einer sich im Nachhinein als irrtümlich herausstellenden Anzeige einer Kindeswohlgefährdung vom Strafbarkeitsrisiko ausgeklammert, sofern diese aufgrund gewichtiger Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohles erfolgte.

Handelt es sich um offenkundige Verletzungen des Zahn-, Mund- und Kieferbereichs, die auf Gewalteinwirkung zurückzuführen und nicht nachvollziehbar sind (z.B. Verletzung eines Zahnes durch das Spielen im Kindergarten), ist die Kindeswohlgefährdung unproblematisch anzunehmen. Schwieriger stellen sich Vernachlässigungen wie z.B. eine stark vernachlässigte Mundhygiene dar. Hier kommt es nicht nur auf den gesundheitlichen Zustand an, sondern auch weitere Umstände wie z. B. die fehlende Einsichtsfähigkeit und Mitwirkungsbereitschaft der Erziehungsberechtigten muss bei der Bewertung der Kindeswohlgefährdung miteinbezogen werden.

Im Falle des Anfangsverdachts einer Kindeswohlgefährdung sind Zahnärztinnen und Zahnärzte befugt pseudonymisierte Daten an erfahrene Fachkräfte in der Jugendhilfe des zuständigen Jugendamtes zu übermitteln, um die nötige Beratung und Einschätzung zu erhalten.

Sofern sie bereits den verstärkten Verdacht einer Kindeswohlgefährdung hegen und der Ansicht sind, dass das Tätigwerden des Jugendamts zur Abwendung einer dringenden Gefahr erforderlich ist, sind sie dazu verpflichtet das Jugendamt zu informieren und die erforderlichen Informationen an das Amt herauszugeben. Wann der Fall einer dringenden Gefahr für das Wohl des Minderjährigen anzunehmen ist, steht dabei in der Einschätzung der behandelnden Person.